Die sozialversicherungsrechtliche Einstufung von Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH ist ein wiederkehrendes Thema, das immer wieder die Gerichte beschäftigt. Es stellt sich immer wieder die Frage, ob ein Geschäftsführer, der gleichzeitig Gesellschafter ist, der Sozialversicherungspflicht unterliegt oder nicht.
Gesetzliche Grundlage und Kriterien für die Sozialversicherungspflicht
Das Gesetz gibt in § 7 Abs. 1 SGB IV eine allgemeine Definition von Beschäftigung vor, die für die Einstufung von Gesellschafter-Geschäftsführern entscheidend ist. Eine Beschäftigung liegt demnach vor, wenn jemand nichtselbstständig tätig ist, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, das durch Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers gekennzeichnet ist.
Die Rechtsprechung hat über die Jahre hinweg eine Vielzahl von Kriterien entwickelt, die für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung eines Gesellschafter-Geschäftsführers entscheidend sind. Grundsätzlich kann man sagen, dass eine Person dann als abhängig beschäftigt gilt, wenn sie ihre vertraglich geschuldete Leistung in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation erbringt und einem umfassenden Weisungsrecht unterliegt, das den Inhalt, die Durchführung sowie Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen kann.
Im Gegensatz dazu ist jemand selbstständig tätig, wenn er über seine Arbeitskraft frei verfügen kann und die Tätigkeit sowie Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmt, wobei er ein unternehmerisches Risiko trägt.
Kapitalbeteiligung und Weisungsbefugnis: Einfluss auf die Sozialversicherungspflicht
Bei Gesellschafter-Geschäftsführern hat sich in der Vergangenheit die Auffassung etabliert, dass die Kapitalbeteiligung und die daraus resultierende Weisungsbefugnis entscheidend sind. Ein Geschäftsführer, der als Mehrheitsgesellschafter mehr als 50 % der Anteile an einer GmbH hält, kann sich praktisch selbst Weisungen erteilen und wird daher in der Regel nicht sozialversicherungspflichtig. Ebenso wurde bisher eine Beteiligung von 50 % oder einer sogenannten „echten Sperrminorität“ als ausreichend angesehen, um eine Sozialversicherungspflicht zu vermeiden.

Verschärfung der Anforderungen durch die Rechtsprechung
In den letzten 15 Jahren hat sich jedoch eine Verschärfung der Anforderungen zur sozialversicherungsrechtlichen Einstufung von Gesellschafter-Geschäftsführern abgezeichnet. So hat das Bundesozialgericht die Rechtsprechung dahingehend weiterentwickelt, dass Gesellschafter-Geschäftsführer als sozialversicherungsfrei gelten können, wenn sie durch eine sogenannte „Verhinderungsmacht“ unliebsame Weisungen verhindern können.
In jüngster Zeit ist jedoch eine zusätzliche Anforderung aufgetaucht: Die sogenannte „Gestaltungsmacht“. Diese neue Entwicklung wurde zuletzt vom Sozialgericht Neubrandenburg in einem Urteil (Az. S 7 BA 7/23) vom 10.09.2024 aufgegriffen.
Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg: Gestaltungsmacht als Kriterium
Das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg (Az. S 7 BA 7/23) stellt klar, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer nur dann als selbstständig angesehen werden kann, wenn ihm ein im Gesellschaftsvertrag verankertes Stichentscheidungsrecht zusteht, insbesondere im Fall einer Stimmengleichheit. Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine 2-Personen-GmbH, bei der beide Gesellschafter jeweils 50 % der Anteile hielten. Das Gericht entschied, dass der Kläger, obwohl er eine Beteiligung von 50 % hatte, als abhängig beschäftigt einzustufen sei, da ihm keine ausreichende Gestaltungsmacht zustehe.
Die Entscheidung basierte auf der Feststellung, dass im Gesellschaftsvertrag festgelegt war, dass Beschlüsse mit einer Mehrheit von mehr als 50 % gefasst werden mussten. Somit konnten die beiden 50 %-Gesellschafter sich gegenseitig blockieren, was aus Sicht des Gerichts nicht ausreichte, um eine umfassende Mitbestimmung und Gestaltungsmacht zu gewährleisten.
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Folgen des Urteils für Gesellschafter-Geschäftsführer
Das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg hat weitreichende Konsequenzen für Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Beteiligung von 50 %. Diese werden nun zunehmend als abhängig beschäftigt eingestuft, wenn sie nur eine Verhinderungsmacht besitzen und keine umfassende Gestaltungsmacht ausüben können. Dies bedeutet, dass das Risiko für GmbH-Geschäftsführer, mit hohen Beitragsnachforderungen der Deutschen Rentenversicherung konfrontiert zu werden, weiter steigt.
Frühere Annahmen, dass ein 50 %-Gesellschafter auf der „sicheren Seite“ sei, sind durch dieses Urteil überholt. Es wird nun von Gesellschafter-Geschäftsführern erwartet, dass sie eine tatsächliche Mitbestimmungsmacht besitzen, um als selbstständig eingestuft zu werden.
Fazit: Regelmäßige Überprüfung der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung
Das Urteil zeigt einmal mehr, wie sich die rechtlichen Rahmenbedingungen schnell ändern können. Gesellschafter-Geschäftsführer sollten ihre sozialversicherungsrechtliche Einstufung regelmäßig überprüfen lassen, insbesondere bei Änderungen im Gesellschaftsvertrag oder der Unternehmensstruktur. Dies erfolgt üblicherweise über ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Rentenversicherung Bund.
Es ist außerdem wichtig, dass alle relevanten Regelungen zur Weisungsbefugnis und Mitbestimmung klar und transparent im Gesellschaftsvertrag festgehalten werden, um die Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Tatbestände zu gewährleisten. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, eine rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um mögliche Risiken zu minimieren.
Der Autor

Kai Bracksiek berät seit knapp 14 Jahren nationale und internationale Unternehmen zu steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. Sein Schwerpunkt liegt in der Betreuung von Unternehmen aller Rechtsformen, insbesondere im produzierenden Gewerbe. Nach Stationen in mittelständischen Steuerkanzleien, einer „Next 10“- sowie einer „Big 4“-Gesellschaft verfügt er über umfassende Erfahrung in der Jahresabschlusserstellung, internationalen Steuerberatung und dem Aufbau von Tax-Compliance-Strukturen.
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